von Frank Zillmer - 11.12.2024
Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht
Regierungsentwurf vom 6.11.2024 - Gut gemeint, aber schlecht gemacht
Am 6.11.2024 hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zum „Gebäudetyp E“ vorgestellt (Bundesratsdrucksache 555/24).
Die Regelungen sollen das Bauen vereinfachen und kostengünstiger machen, indem die Bauvertragsparteien (Auftraggeber, Planer, Bauunternehmer) vereinbaren dürfen, dass sie von „anerkannten Regeln der Technik“ abweichen können, soweit diese nur Ausstattungs- und Komfortstandards betreffen. Der Auftragnehmer muss den Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen nicht über die damit verbundenen Risiken aufklären, um eine Mängelhaftung zu vermeiden.
Ist der Auftraggeber Verbraucher, gelten jedoch spezielle Hinweispflichten.
Der Gesetzentwurf ist gut gemeint, aber schlecht gemacht worden.
Um den Gesetzentwurf und die Kritik daran zu verstehen, muss man die aktuelle Rechtslage kennen, denn auch diese erlaubt unter bestimmten Umständen schon Abweichungen von den allgemein anerkannten Regeln der Technik:
„Allgemein anerkannte Regeln der Technik“ sind -nach der Rechtsprechung auch ohne ausdrückliche Vereinbarung hierüber- in Bau- und Planungsverträgen einzuhalten. Ansonsten ist die Bau- oder Planungsleistung mangelhaft.
Wird durch die Abweichung von den allgemein anerkannten Regeln der Technik eine Gefahr für Leib und Leben eines Menschen verursacht, machen sich Planer, Bauleiter und Bauunternehmer wegen „Baugefährdung“ (§ 319 StGB) strafbar.
Die Gefahr reicht schon aus. Es muss noch gar nicht zu einem Schadenfall gekommen sein. Auch fahrlässiges Handeln ist nach diesem Gesetz strafbar.
Im VOB/B-Vertrag ergibt sich die vertragliche Pflicht zur Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik aus
§ 4 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B und
§ 13 Abs. 1 VOB/B: Danach hat der Auftragnehmer die allgemein anerkannten Regeln der Technik zu beachten und leistet mangelhaft, wenn er das versäumt. Durch die Einbeziehung der VOB/B in den Vertrag wird die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik somit auch vertraglich ausdrücklich verpflichtend.
„Anerkannte Regeln der Technik“ sind Regeln der Baukunst. Sie sind unter den Technikern bekannt und als richtig anerkannt und haben sich über einige Zeit bewährt. Die Regeln sind keine Rechtsnormen, sondern ein Erfahrungswissen, das sich ständig weiterentwickelt. Die Regeln gehen über DIN- und VDE- Normen usw. weit hinaus und sind mit ihnen manchmal sogar nicht einmal identisch. Selbst Sachverständige sind sich gelegentlich nicht einig darüber, ob eine Regel dazugehört oder nicht.
Von Regeln, die nur Komfort- oder Ausstattungsmerkmale betreffen, kann in Planungs- und Bauverträgen schon immer abgewichen werden, wenn der Auftraggeber hierüber vor der Ausführung aufgeklärt worden ist. Diese „Bedenkenanzeige“ muss den Auftraggeber so umfassend über alle Risiken und Konsequenzen aufklären, die mit dem Verzicht auf diese Regeln verbunden sind, dass der Auftraggeber eine eigene Risikoabwägung vornehmen kann. Er muss durch die Aufklärung zum „Fachmann“ gemacht werden, um alle Risiken und alle Konsequenzen erkennen und abschätzen zu können. Ist die Aufklärung erfolgreich, kann der Auftraggeber den Auftragnehmer für diese Regelabweichungen nicht mit Gewährleistungsansprüchen in die Haftung nehmen. In der Praxis sind viele Bedenkenanzeigen jedoch nutzlos, weil die Aufklärung des Auftraggebers durch den Auftragnehmer nicht sorgfältig und weitgehend genug erfolgt ist: Die Rechtsprechung hierzu ist sehr streng (BGH, Urt. v. 4.6.2019, VII ZR 54/07).
Auch Fachleuten untereinander müssen sich aufklären, wenn dem Auftraggeber das erforderliche Spezialwissen fehlt.
Kommt es zu einer Verletzung von Leib oder Leben, hilft dieser Gewährleistungsausschluss dem Auftragnehmer nicht, denn er kann mit dem Auftraggeber keinen „Vertrag zulasten Dritter“ abschließen: Der Verletzte oder seine Kranken- und Unfallversicherung können gegen den Auftragnehmer vorgehen und auch Staatsanwälte und Strafrichter sind von der Vereinbarung über den Gewährleistungsausschluss unbeeindruckt. Sie erkennen an der Vereinbarung vielmehr, dass der Regelverstoß vorsätzlich erfolgt ist. Das hat nicht nur für die Strafhöhe Folgen, sondern auch für den Versicherungsschutz: Dieser entfällt bei der vorsätzlichen Herbeiführung eines Versicherungsfalles.
Hinzu kommt, dass es nach den
Landesbauordnungen der Länder durch Verwaltungsvorschrift als
technische Baubestimmungen eingeführte technische Regeln gibt: Das sind (eigentlich private) DIN-Normen und andere Regelwerke, von denen damit kraft Gesetzes nicht abgewichen werden darf. Diese Kataloge enthalten nicht nur Regeln zum Schutz von Leben und Gesundheit wie z.B. Regeln zur Standsicherheit und zum Brandschutz. Enthalten sind z.B. auch Regeln zur Barrierefreiheit, zum Schall- und Wärmeschutz. Verstöße gegen die Landesbauordnung stellen nach dem Landesrecht eine Ordnungswidrigkeit dar, neben Geldbußen droht auch eine Vermögensabschöpfung.
Die Regierung hat erkannt, dass es eine unübersehbar große Vielzahl von Normen und Regeln gibt, die das Bauen teuer machen. Sie möchte mit dem „einfachen Bauen“ oder Experimentellen Bauen“ die Möglichkeit schaffen, Kosten zu sparen. Auch sollen innovative Bautechniken ermöglicht werden, die sich bisher noch nicht bewährt haben und deshalb noch nicht zu den anerkannten Regeln der Technik gehören.
Der „Gebäudetyp E“ ist jedoch kein spezieller Gebäudetyp, sondern ein Begriff für Bau- und Planungsverträge, bei denen von bestimmten Standards abgewichen werden darf.
Hierbei soll die Einhaltung bestimmter Regeln und Normen nicht ohne ausdrückliche Vereinbarung geschuldet sein und deren Nichtbeachtung soll keinen Sachmangel darstellen. Eine Aufklärung über die Risiken und Konsequenzen soll nicht erforderlich sein – vielmehr sollen diese Standards nur dann geschuldet sein, wenn sie ausdrücklich vereinbart worden sind.
Im Gesetzentwurf wird zwischen sicherheitsrelevanten und sonstigen (Komfort-)Standards unterschieden: Von (oft kostenträchtigen) Komfort- und Ausstattungsstandards soll abgewichen werden dürfen; von sicherheitsrelevanten Regeln hingegen nicht.
Verbraucher sollen rechtzeitig darauf hingewiesen werden, auf welche Standards verzichtet werden soll, damit sie sich über entsprechende Standards erkundigen können.
In Verträgen zwischen fachkundigen Unternehmen sollen Erleichterungen gelten, die von Konsequenzen und Risiken einer Aufklärung befreien.
Soweit die Begründung zum Entwurf.
Das ist gut gemeint, aber gut gemeint ist hier leider das Gegenteil von gut geworden.
Der Ansatz ist begrüßenswert.
Befreit das die Planer und Bauunternehmer dann nicht auch konsequenterweise von ihren diesbezüglichen Hinweispflichten?
Gegenüber Verbrauchern soll es trotzdem ausdrücklich weiterhin eine Hinweispflicht geben. Was gilt aber gegenüber anderen Vertragspartnern?
Mängel und Hinweispflichten können doch nur entstehen, wenn von einer bestehenden Verpflichtung abgewichen wird. Trotzdem bleibt es nach § 650 o BGB RegEntw bei einer Mängelhaftung, wenn bestimmte Voraussetzungen nicht vorliegen (Siehe auch weiter unten).
Wie kann der Verstoß gegen eine Regel einen Mangel darstellen, wenn die Einhaltung der Regel vertraglich gar nicht geschuldet ist?
Die Landesbauordnungen aller Bundesländer enthalten jedoch „eingeführte technische Regeln“, die Kraft (Landes-)Gesetzes einzuhalten sind.
Kollisionen zwischen den Regelungen zwischen Bund und Ländern sind vorprogrammiert.
Was soll im Kollisionsfall gelten und wie sollen Planer und Handwerker den Überblick behalten?
Die Begründung des Entwurfs enthält den Hinweis, dass der Verbraucher sich „positiv nach entsprechenden Standards erkundigen“ können soll. Eine Unterschrift in einem Kasten über der Unterschrift zum Architekten- oder Bauvertrag ist dann ersichtlich nicht „rechtzeitig“: Zeit für Erkundigungen ist dann nicht mehr gegeben.
Wie sollen insbesondere Planer „rechtzeitig vor Vertragsschluss“ Hinweise geben?
Zu diesem Zeitpunkt gibt es noch keine Planungsleistung, die Aufschluss über Standards geben kann, die eingehalten werden können oder auf die verzichtet werden kann. Von einer fehlenden Möglichkeit, auf Kostenfolgen hinzuweisen, ganz zu schweigen.
Verbraucher sind damit weiterhin über alle mit dem Verzicht verbundene Risiken aufzuklären, damit Handwerker und Planer später nicht in die Gewährleistungshaftung geraten.
Insbesondere kleine Handwerksbetriebe und Planungsbüros, die ihren Kunden kostengünstige Leistungen anbieten möchten, geraten dadurch in eine kaum vermeidbare Haftungsfalle:
Auftragnehmer müssen damit wie bisher lückenlos (!) über alle Risiken aufklären, die der Verzicht auf die Einhaltung der anerkannten Regeln der Technik mit sich bringt und diese Aufklärung nachweisen können. Wird über ein Risiko nicht aufgeklärt und realisiert es sich später, ist die Leistung des Handwerkers oder Planers wegen eines Verstoßes gegen die anerkannten Regeln der Technik weiterhin mangelhaft. Der Handwerker oder Planer muss auf seine Kosten nachbessern bzw. Schadenersatz leisten.
Dieser Haftung entgeht der Handwerker oder Planer nur, wenn er den Auftraggeber wie bisher so aufklärt, dass der Auftraggeber eine eigene Risikoabwägung vornehmen kann und der Auftragnehmer das mit einer entsprechenden Dokumentation nachweisen kann. Das ist keine Änderung oder Verbesserung gegenüber der bestehenden Rechtslage und führt zu einem absurden und haftungsträchtigen Bürokratismus, dem ich keinem Handwerker oder Planer empfehlen kann.
Für Planer kommt hinzu, dass die vereinbarte, aber nicht wirksam vermittelte Abweichung von den Standards „vorsätzlich“ erfolgt – mit der Folge, dass der Versicherungsschutz absehbar entfällt, weil damit gegen versicherungsvertragliche Obliegenheiten verstoßen wird.
In Verträgen zwischen „fachkundigen Unternehmen“ kann danach in einer Beschaffenheitsvereinbarung von anerkannten Regeln der Technik abgewichen werden, ohne dass der Auftragnehmer den Auftraggeber über die Risiken und Konsequenzen der Abweichung hinweisen muss.
Wie soll zudem eine „gleichwertige Ausführungsqualität“ erreicht werden, wenn Komfortstandards nicht eingehalten werden?
Der Gesetzentwurf bedarf daher noch einiger Veränderungen, damit er praktisch umsetzbar ist. In dieser Form ist das Gesetz widersprüchlich, nicht umsetzbar und wird den damit verfolgten und sehr begrüßenswerten Zweck, Vereinfachungen und Rechtssicherheit zu erzeugen, nicht erreichen.
Ungewöhnlich ist, dass der VII. Senat des BGH, der für Bausachen zuständig ist, sich mit einem deutlichen Standpunkt zu dem Entwurf des Gesetzes zu Wort gemeldet hat (Baurecht 2024, Seite 1725):
Üblicherweise entscheidet der BGH nur Rechtsstreitigkeiten, die an ihn herangetragen werden. Stellungnahmen zu Gesetzentwürfen gehören nicht zu seinen Aufgaben und erfolgen daher üblicherweise nicht. Zu diesem ungewöhnlich schlecht gelungenen Gesetzentwurf meldet er sich jedoch zu Wort:
Er rügt, dass der Gesetzgeber den Mangelbegriff verkennt, die typischen Leistungsketten im Werkvertrag übersieht und privaten DIN-Normen zu Unrecht Gesetzesrang einräumt.
Der Gesetzentwurf sehe „in einem Schnellverfahren ohne fachkundige Begleitung tiefgreifende Änderungen des Bauvertragsrechts vor, ohne deren Wirkung durchdacht zu haben.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Der Gesetzentwurf sehe „in einem Schnellverfahren ohne fachkundige Begleitung tiefgreifende Änderungen des Bauvertragsrechts vor, ohne deren Wirkung durchdacht zu haben.“ (VII. Senat des BGH)
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Ulrike Zillmer
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